Ich hatte ja nicht vor, einen Eintrag zu „Leben vor dem Tod 3“ zu machen. Aber das Leben hat mich dazu gebracht:
Ich war im März für 10 Tage in der Südtürkei, wo ich mit syrischen Flüchtlingen gearbeitet habe. Das sind Menschen, die von zuhause geflüchtet sind, weil sie unter dem Krieg, dem Bombardement und dem Geheimdienst gelitten haben. Viele von ihnen haben Familienangehörige oder Freunde verloren, alle ihre Heimat und das Leben vor dem Krieg. Sie sind von zuhause weggegangen, alle nicht freiwillig, und dort, wo sie jetzt sind, sind sie nicht willkommen. Auch hier erleben sie wieder Gewalt und Angst, Unterdrückung und Ausbeutung: sie haben keine Arbeit oder werden nicht/kaum dafür bezahlt, sie sind BürgerInnen zweiter Klasse, bei Auffälligkeiten werden sie abgeschoben.
Und sie reagieren darauf so, wie das Menschen machen, die in so einer Situation sind: sie rücken ein Stück näher zusammen, versuchen sich, durch Tradition und/oder Religion in ihrer Identität zu stärken. Was die Integration schwer macht, von beiden Seiten.
Ich war nicht dort, um bei der Integration zu helfen, aber das ist mir aufgefallen. Ich weiß keine Lösung, aber sie muss von beiden Seiten kommen.
Ich war dort, um Menschen auszubilden, die als TraumaberaterInnen arbeiten können. Mit einer Kollegin haben wir zum Teil theoretisch ausgebildet, zum Teil in Einzelarbeit mit den Menschen gesprochen. Die Geschichten, die ich gehört habe, haben mich sehr betroffen gemacht. Und sehr dankbar für die Situation, in der wir uns hier in Österreich befinden:
- wir können leben ohne Angst vor einer Bombe oder einem Scharfschützen haben zu müssen
- wir können auf der Strasse gehen ohne von Gewalt bedroht zu werden
- wir sind reich, selbst wenn wir keine Arbeit finden, bekommen wir genug Geld, um davon leben zu können
- wir sind reich: wir haben so viel Platz, wir müssen uns nicht zu zehnt eine Zweizimmerwohnung teilen
- wir haben eine Polizei und ein Rechtssystem, das ziemlich gut funktioniert, auf das wir uns mehr oder weniger verlassen können
- wir dürfen uns unsere Religion und Weltanschauung aussuchen
- wir müssen als Frauen kein Kopftuch tragen oder auf die Erlaubnis von einem Mann warten, wenn wir Entscheidungen treffen wollen
- wir haben so viele Wahlmöglichkeiten!
Ich habe viel aus dieser Arbeit mitgenommen, aber vor allem diese Dankbarkeit! Es geht uns so gut, und wir vergessen oft einfach darauf. Das bedeutet nicht, dass wir nicht weiter unter dem leiden dürfen, was uns fehlt oder weh tut, es bedeutet nur, dass wir manchmal auch an das denken dürfen, was wir für selbstverständlich annehmen, es aber nicht ist. in vielen Teilen der Welt nicht selbstverständlich ist. Und es ist nicht unser Verdienst, dass wir ausgerechnet hier geboren wurden, in diesem guten Teil der Welt!
Danke, Leben!
Schlagwörter: Dankbarkeit, Posttraumatische Belastungsstörung, Sicherheit, Trauma
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