Archive for the ‘Fallbeispiele’ Category

Time to say goodbye: Marilyn

25. Juni 2018

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Auch in Marilyns Leben hat sich einiges verändert seit dem Beginn der Therapie. John F. wohnt immer noch bei ihr, ist aber dabei, sich eine eigene Wohnung zu suchen. Ob die beiden in einer Beziehung bleiben, ist im Moment ungewiss. Marilyn weiss selbst nicht, ob sie das will oder nicht – das wird sich wohl dann zeigen, wenn sich die ganze Situation etwas beruhigt hat.

women-3290273_640Insgesamt ist sie sicherer geworden, was ihre eigene Position anbelangt: nicht mehr immer hat alles, was die anderen sagen, auch automatisch für sie Gültigkeit. Sie versteht langsam, dass ihre Abhängigkeit von John F. sie lange daran gehindert hat, eigene Wege zu gehen oder auf die eigenen Bedürfnisse zu achten. Die Geschichte mit dem Zimmer, das sie vor John F. verteidigt hat, hat ihr klar gemacht, wie wichtig es für sie ist, auch in kleinen Dingen zu sich zu stehen.

green-1968590_640Das Überraschende für Viele ist, dass es oft genau die kleinen, beinahe unbedeutenden Dinge sind, die zu Veränderungen führen. Wenn KlientInnen es schaffen, sich in kleinen Dingen für sich selbst einzusetzen (ein anderer Platz am Esstisch, ein unliebsame Verabredung, die man absagt, ein Kleidungsstück, das man sich anzuziehen traut, ein paar Dinge, die man weggibt, …), kann das der Beginn eines Weges sein, der zum Ziel führt. Es sind also meist nicht die großen Veränderungen, die einen Umschwung ausmachen sondern die ganz kleinen, die beinahe zu leicht erscheinen. Aber – wie wir wissen: auch eine Reise von 1000 Meilen beginnt mit dem ersten Schritt. Und besteht aus lauter kleinen Schritten. Oft sind KlientInnen überrascht, wie einfach es ist, wenn sie einmal begonnen haben, diese kleinen Schritte zu setzen.

Auch Marilyn hat viele kleine Schritte gesetzt und deshalb ist sie jetzt dort, wo sie steht. Alles Gute auch dir, Marilyn!

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Time to say goodbye: Maria Theresia

18. Juni 2018

Die 6m hohe Statue am Maria-Theresien-Platz erinnert an die Kaiserin, die in Wien von 1740 bis 1780 regierte, Österreich

Maria Theresia hat in dem vergangenen Jahr hart an sich gearbeitet und ist sehr viel weiter gekommen: sie hat Kontakt mit ihrem inneren Kind aufgenommen, hat es getröstet und versorgt. Das hatte zur Folge, dass sie ihr ständig schlechtes Gewissen in Bezug auf ihre Kinder (wahrscheinlich aufgrund ihrer eigenen kindlichen Sehnsucht nach einem liebevollen Umgang, der auf ihre kindlichen Bedürfnisse Rücksicht nimmt) über weite Strecken aufgeben konnte.

family-1784371_640Daher kann sie jetzt mit ihrer Kindern gelassener und weniger aus der Not heraus umgehen, sondern mehr aus der Freude am Gemeinsamen. Die wenige Zeit, die sich miteinander verbringen, ist von hoher Qualität: jeden Abend sitzt sie am Bett ihrer Kinder und unterhält sich mit ihnen. Endlich hat sie keine Angst mehr, eine schlechte Mutter zu sein und die Kinder zu vernachlässigen.

Auch der Umgang mit ihrem Mann ist besser geworden, sie reden wieder mehr miteinander, gehen spazieren oder tanzen, sie kuscheln und sind zärtlicher. Auch hier: die Zeit, die sie gemeinsam haben, gestalten sie bewusst, und wenn sie einmal Streit haben, schaffen sie es leichter, danach wieder ins Gespräch zu kommen.

In der Arbeit ist sie selbstbewusster, aber hier ist noch einiges zu verbessern: sie lässt sich  nach wie vor recht schnell von ihren männlichen Kollegen verunsichern, wenn diese sehr laut und bestimmt reden. Manche Situationen, die sie an früher erinnern, machen ihr immer noch Angst, aber sie hat immerhin gelernt, ihnen nicht auszuweichen sondern sich mutig zu stellen.team-spirit-2447163_640

Insgesamt ist sie auf einem sehr guten Weg, sie ist freundlicher und liebevoller im Umgang mit sich, ihrer Familie und ihrer Umgebung. Die Therapie wird wohl noch eine Weile dauern, ich schätze einmal so ca. bis zum Ende des Jahres.

Denn eine Therapie muss nie bis zum Ende eines Weges dauern sondern nur so lange, bis sich die Richtung gezeigt hat, in die man in Zukunft gehen will und die ersten Schritte gelungen sind. Ab dann schafft es jedeR alleine. Wenn KlientInnen später wiederkommen, brauchen sie oft nur eine kleine „Auffrischung“ von einer oder zwei Sitzungen, dann geht es wieder ohne Therapie weiter. Es ist für mich immer eine Freude, diesen Richtungswechsel zu beobachten und zusehen zu dürfen, wie Menschen aufblühen und ein befreiteres Leben führen!

In diesem Sinne: alles Gute weiterhin, Maria Theresia!

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Time to say goodbye: Jean-Paul

11. Juni 2018

Francois Perier, Paula Dehelly in " The Jean-Paul

Auch die Therapie von Jean-Paul scheint sich einem (vorläufigen?) Ende zu nähern. Seit er am Land lebt, mit seinem Hund spazieren geht und viel Bewegung macht, ist er wie ausgewechselt: er lebt gerne, er hat Pläne für das Haus, das er gekauft hat und renovieren will, er denkt daran, sich einen alten Traum zu verwirklichen und den Jakobsweg zu gehen, und auch sein Job macht ihn nicht mehr so müde.

ruin-540830_640Die Trennung von Simone war für ihn nicht leicht: er hatte auch seine Zweifel, ob er nicht leichtfertig eine „gute Beziehung“ aufgibt.  Aber es war auch eine Befreiung, nicht immer „mehr vom selben“ machen zu müssen sondern tatsächlich neue Wege zu gehen (statt wie früher immer nur einen weiteren esoterischen Kurs zu machen und sich dabei vorzunehmen, ab jetzt ganz anders zu sein!) Sein Autounfall hat ihm die Kraft gegeben, diese Dinge in die Wege zu leiten und die ersten Schritte zu tun.

Das ist für mich ein Beispiel dafür, wie alles – Angenehmes wie Unangenehmes, Erfreuliches wie Bedrohliches – einen Sinn haben kann, der sich oft erst später zeigt. Jede Krise ist in der Zeit, in der sie da ist, nicht mehr als genau das: eine Krise, und wer auch immer in einer schwierigen Zeit davon anfängt, dass das eine Chance ist, hat gar nichts verstanden. Aber später, wenn sich die Dinge wieder beruhigt haben, kann man mit allen Situationen etwas Sinnvolles anfangen, ist alles eine Chance, sich zu fragen, ob man tatsächlich so leben will wie man es tut oder ob es nicht Zeit ist, etwas zu verändern.

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Jean-Paul hat diese Chance wahrgenommen und es geht ihm so gut wie wir uns beide das zu Beginn unserer Arbeit niemals hätten träumen lassen. Er muss noch einen weiten Weg gehen, aber mit dem Schwung, den er im Moment hat, schaut alles machbar aus. Wenn unsere Seele den Weg gefunden hat, den sich gesucht hat, fühlen wir uns befreit und glücklich – und mehr brauchen wir ja gar nicht.

Alles Gute, Jean-Paul!

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Time to say Goodbye: Frank S.

4. Juni 2018

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Nachdem wir unsere KlientInnen nun beinahe ein Jahr begleitet haben, wird es Zeit, sich wieder von ihnen zu verabschieden. Wir beginnen mit Frank.

In seinem Leben hat sich äußerlich nicht viel getan: er hat immer noch denselben Job, ist gerade wieder auf der Suche nach einer Freundin – „diesmal aber richtig“ – und auch seine allgemeine Unzufriedenheit ist geblieben. 

Dennoch war das Jahr wichtig für ihn: er hat sich viel mit seiner inneren Haltung dem Leben gegenüber beschäftigt, er ist auf dem Weg zu einem besseren Umgang mit seinen Eltern, hat gelegentlich Kontakt mit seinem Sohn. Er hat sich mit seiner Arbeit und seinem Chef versöhnt, es sieht so aus, als ob sich da langsam etwas verbessern würde.

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Ich denke, dass er die Arbeit mit mir bald beenden wird. Das ist nicht ganz leicht für mich, weil ich noch so viel Entwicklungsmöglichkeiten für ihn sehen würde, aber nicht immer sind Menschen bereit, alle möglichen Schritte auf einmal, oder bei einer Therapeutin zu tun. Hier ist mein Job auch, ihn gehen zu lassen, in seiner Unzufriedenheit, die sich auch auf die Therapie bezieht: „Hat mir die Therapie überhaupt geholfen?“

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Therapie, sage ich gerne, ist wie das Erlernen eines Musikinstrumentes oder einer Sprache: es geht nicht um die Frage, wie oft man in den Unterricht geht – davon wird man das Instrument, die Sprache nicht lernen. Es geht darum, ob man zuhause übt, nur so wird es eine Entwicklung geben.

Therapie ist somit nicht, was in der Sitzung geschieht sondern was die Menschen zwischendurch damit machen.

Das schränkt meine Möglichkeiten ein: ich muss als Therapeutin die „Übungsstücke“ aussuchen – aber üben müssen die KlientInnen selbst, das kann ich nicht für sie tun.

(Dass ich dabei meinen Anteil auch immer gut im Blick haben muss und ständig auf der Suche nach weiteren und besseren Angeboten für meine KlientInnen bin, ist dabei auch selbstverständlich und Thema von Supervisionen und Fortbildungen.)

So lasse ich Frank S. gehen und erlaube ihm, auch mit der Therapie unzufrieden zu sein. Er wird vielleicht eines Tages bereit sein, sich seinen inneren Widerständen zu stellen und sich mit dem Leben anzufreunden. Ich hoffe es für ihn und wünsche ihm alles Gute.

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Marilyn: Home Story (3)

28. Mai 2018

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Marilyn hat John F. gesagt, dass sie sich in Ruhe Zeit nehmen will für ihr Zimmer und dass sie nicht will, dass er es einfach entrümpelt. Die beiden hatten daraufhin Streit und Marilyn kommt traurig in die Therapie.

„Er hat gesagt, ich bin anstrengend und kompliziert. Er will doch nur mit mir eine gute Zeit erleben, er will es schön haben mit mir und mir auch das Leben leichter machen, indem er mir hilft, mein Haus neu zu organisieren. Er versteht überhaupt nicht, warum ich das nicht annehmen will.“

Und Sie: verstehen Sie sich?pair-707502_640

„Auch nicht wirklich. Ich habe mir jahrelang gewünscht, dass wir zusammen sein können, und jetzt, wo es endlich so ist, ist es eine reine Katastrophe. Wir streiten oft, und dann sagt er, er hätte gleich bei seiner Frau bleiben können. Wenn er gewusst hätte, dass ich so mühsam und streitsüchtig bin – das hat er bei ihr auch gehabt.“

Autsch, das klingt ja richtig schmerzhaft! Was sagen Sie darauf?

„Gar nichts. Ich fühle mich wie eine Versagerin. Ich will doch auch, dass wir es gut haben miteinander. Und ich finde es auch angenehm, wenn er Dinge in die Hand nimmt und so aktiv ist. Letztens hat er die Gartenhütte neu gestrichen, das war schon lange fällig, aber ich hätte jemanden dafür bezahlen müssen, so etwas mag ich nicht alleine machen. Es ist gut, einen Mann im Haus zu haben, der von sich aus Sachen macht.“

Ja, das kann ich mir vorstellen.

adult-1822498_640„Und dann ist wieder alles fein, und ich liebe ihn. Will mit ihm schlafen, und wenn wir das tun, ist es immer großartig. Er ist ein super Liebhaber und mir macht es dann auch immer viel Spaß. Aber nicht einmal da ist alles gut: oft will er nicht. Können Sie sich das vorstellen: immer hat er mit mir geschlafen, sobald wir uns irgendwo getroffen haben, immer war er voll Leidenschaft und Sehnsucht! Immer war er ausdauernd und liebevoll, immer hat er gesagt, dass er verrückt ist nach mir. Sex war das Beste an unseren Treffen. Und jetzt: er ist müde, er kann jetzt nicht. Ich verstehe das alles nicht.“

 

Marilyn: Home Story (2)

21. Mai 2018

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Also, zu dem Zimmer, das John F. ausgeräumt haben will: was ist damit?

„Ja, er sagt, ich brauche das alles nicht. Und er hat nicht ganz unrecht. Es heißt ja: alles, was man ein Jahr nicht gebraucht hat, kann man auch gleich weggeben. Und viele Dinge drinnen habe ich schon seit vielen Jahren nicht mehr gebraucht. Ich sollte sie also einfach weggeben können.“

Und: können Sie?

„Naja, anscheinend nicht. Ich weiß gar nicht, was da alles drinnen ist. Ich muss mir die Zeit nehmen, alles der Reihe nach durchzugehen. Aber irgendetwas hält mich immer davon ab. Manchmal öffne ich die Türe und nehme mir vor, es jetzt anzugehen, aber dann stehe ich drinnen und mir fällt plötzlich etwas anderes ein, was ich dringender tun muss, dann mache ich die Türe wieder zu  und gehe weg. Aber belasten tut es mich schon!“

books-768426_640Wie wäre es, wenn Sie sich immer nur ein einziges Stück herausholen? Nur eines, und damit sofort das Zimmer wieder verlassen, damit Sie nicht in Versuchung kommen, oder Angst haben? Und dieses eine einzige Ding dann anschauen und entscheiden, was Sie damit machen wollen? Ginge das?

„Na, das zahlt sich doch nicht aus, oder? Wenn ich einmal damit anfange, dann sollte ich es gleich ordentlich machen, finde ich.“

Ja, ich auch. Aber wir müssen uns mit dem zufrieden geben, was gelingen kann und nicht immer das versuchen, was anscheinend nicht funktioniert hat in den letzten Jahren. Das Ganze zu schaffen scheint Ihnen, aus welchen Gründen immer, zu viel zu sein. Also brechen wir es einfach auf kleine Einheiten herunter, die machbar sind.

„Aber John F. sagt, er braucht dafür nur einen Tag, er bringt das einfach alles auf den Mistplatz und gut ist es. Dann hat er sein Zimmer und muss sich nicht mit dem kleinen Eck am Esstisch zufrieden geben, das er jetzt hat.“

Können Sie bitte einmal John F.s Wünsche weniger wichtig nehmen als Ihre eigenen? Wenn John F. nicht genug Platz hat, dann soll er sich ein Büro mieten, das ist doch nicht Ihr Problem. Sie wollten nicht, dass er bei Ihnen einzieht, es war seine Idee. Geben Sie  nicht alles auf, bloß weil er sich das einbildet. Sie haben schon die ganzen Jahre nach seinen Wünschen gelebt, aber da hatten Sie wenigstens noch zwischendurch Zeit für sich. Und jetzt darf er nicht einfach Ihr Leben gestalten, lassen Sie sich das bitte nicht einfach aus der Hand nehmen.

rage-1541317_1280„Mir fällt ein Stein vom Herzen, wenn Sie das so sagen. Ich finde auch, dass er ziemlich dominant ist, aber so ist er halt einmal. Ich bin manchmal fast ärgerlich auf ihn, weil er alles bestimmen will, aber ich liebe ihn halt und deswegen sage ich nichts.“

(Das ist so dicht, das braucht noch eine Fortsetzung nächste Woche…!)

Marilyn: Home Story (1)

14. Mai 2018

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„John F. bedrängt mich. Er will, dass ich mein Haus umgestalte. Ich soll die Zimmer sinnvoller nutzen, meint er. Ich habe ein Zimmer, das ich nicht brauche, oder vielmehr: in dem ich alles aufhebe, was ich nicht dringend brauche. Er findet, wenn ich dort aufräume und das „alte Gerümpel“ wegschmeiße, dann könnte er sich dort ein Arbeitszimmer einrichten, dann hätten wir mehr Platz und müssten nicht immer auf zu engem Raum zusammen sein. Und uns auf die Nerven gehen.“

Aha, haben Sie sich schon darauf geeinigt, dass John F. bei Ihnen im Haus bleibt? Mir war gar nicht bewusst, dass das schon für Sie so klar ist.

hammock-425773_640„Naja, er ist halt gewohnt, in einem Haus zu wohnen, aber das kann er sich im Moment noch nicht leisten, sondern bestenfalls eine Wohnung. Solange halt die Scheidung noch nicht durch ist und alles unklar ist. So fühlt er sich am wohlsten. Und er ist auch gerne im Garten. In seiner Freizeit liebt er es, in der Hängematte zu liegen und in die Bäume zu schauen.“

Klingt sehr angenehm für ihn.

„Ja, er mag das auch gerne. Und ich habe ja auch etwas davon: er ist immer in meiner Nähe, und den Rasen gemäht hat er auch schon. Und mit dem Kärcher die Terrasse geputzt, das hat ihm total Spaß gemacht.“

Na gut, klingt so, als ob es wieder einmal nur um seine Wünsche geht. Aber zurück zum Zimmer, was ist damit?

luggage-638376_640„Er drängt mich, es auszuräumen. Aber da sind alle meine alten Schätze drinnen. Und auch Dinge, mit denen ich mich nicht beschäftigt habe, weil sie Arbeit sind, für die ich keine Zeit habe. Aber einfach entrümpeln – nein, das geht auch nicht. Ich muss mir dafür Zeit nehmen und langsam, Stück für Stück, die Dinge durchgehen.“

(Fortsetzung nächste Woche)

Maria Theresia

30. April 2018

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Das Treffen mit dem inneren Kind hat Maria Theresia sehr beschäftigt. (Nebenbei bemerkt: die Klientin, die sich in diesem Abschnitt wiedergefunden hat, hat sich darüber gefreut, es „in meinen Blog geschafft zu haben“).

„Es hat mir gut getan, dieser Kontakt mit dem inneren Kind. Und auch mit dem Löwen. Ich habe etwas zu Schutzwesen und Krafttieren gelesen, ist das das, was wir da gemacht haben?“

Naja, Krafttiere kommen, so weit ich weiß, aus dem Schamanismus, und damit kenne ich mich nicht so wirklich aus. Aber alles, was Ihnen gut tut, dürfen Sie für sich verwenden. Was spricht Sie denn daran an?

„Dass ich nicht alleine sein muss. Das Kind in mir, das früher immer so einsam war, fühlt sich viel besser, wenn dieser große und starke Löwe bei ihr ist. Immer, wenn ich sie mir vorstelle, sehe ich, wie sie sich hinter diesem Tier versteckt. Und der alle anbrüllt, die ihr zu nahe kommen wollen.“

park-2967712_640Und Sie, als Erwachsene, können Sie sich dem Kind nähern? Erlaubt sie das, erlaubt das der Löwe?

„Interessante Frage. Ich kann es einmal probieren. (Sie schließt die Augen und imaginiert diese Situation). Ja, es ist für sie in Ordnung, wenn ich mich zu ihr setze. Aber angreifen lässt sie sich nicht. Das mag sie nicht. Da stellt sich der Löwe dazwischen.“

Das ist gut, mehr muss es auch nicht sein. Was auch immer die Kleine mag, ist gut. Sie hat so viele Jahre Misstrauenserfahrung, so oft ist sie alleine gewesen, dass wir nicht davon ausgehen können, dass sie so schnell auftaut. Geben Sie ihr einfach Zeit dafür.

„Ich habe so viel Mitleid mit diesem Kind, sie ist so arm, sie tut mir echt leid. Ist das nicht schlecht, Selbstmitleid zu haben?“

Nein, ich finde nicht. Es gibt das gute Selbstmitleid, das bedeutet, liebevoll mit sich selbst zu sein. Das schlechte ist die Opferrolle: wenn man aus diesem Mitleid nicht mehr herauskommt sondern immer die anderen zur Verantwortung ziehen will. Aber freundlich mit sich selbst zu sein, davon kann man nie genug bekommen. Nutzen Sie die nächste Zeit, um sich diesem Kind liebevoll und freundlich zu nähern.

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Jean P.: Das Leben ist gut, und es ist gut, am Leben zu sein!

23. April 2018

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Jean P hat, nach seinem Autounfall, der ja so glimpflich verlaufen ist, tatsächlich viel verändert. Er ist aus dem gemeinsamen Haushalt ausgezogen und lebt nun in einer ganz anderen Gegend: nicht mehr in der Stadt sondern am Land. Und er hat sich einen kleinen Hund zugelegt, was ihn dazu bringt, viel spazieren zu gehen.

nature-3294681_640„Jetzt, im Frühling, ist es so schön draußen: überall blüht es, die Vögel zwitschern und die Wärme lockt auch die Menschen aus den Häusern. Sie schauen alle neugierig, wer der neue Mann im Dorf ist, aber das ist in Ordnung. So soll es wohl sein. Und der Hund bringt uns dann leicht ins Gespräch. Die Menschen sind nett.“

Das aus Ihrem Mund zu hören, gefällt mir sehr gut. Es freut mich, dass Sie das sagen, und auch so fühlen.

„Ich habe wirklich das Gefühl, dass das Leben gut ist, und dass es gut ist, am Leben zu sein. Es ist ein neuer Aufbruch, den ich sehr genieße. Wenn ich daran denke, wie verzweifelt ich noch um Weihnachten herum war, wie sehr mir das Leben gegen den Strich gegangen ist! Und jetzt: ich feiere das Leben jeden Tag. Aber ich bin natürlich nicht dumm: ich weiß auch, dass sich dieses Gefühl wieder ändern kann. Ich habe das schon zu oft erlebt.“

Ich habe von einem Mann gehört, der hatte eine schwere Krankheit, die ihn mehrere Wochen jährlich ans Bett gefesselt hat. Damit ihm diese Zeit nicht zu lang vorgekommen ist, hat er sich in den guten Monaten immer Bücher ausgesucht, die er sich ans Bett gelegt hat für den Fall seiner nächsten Krankheit. Damit es ihn nicht völlig überrascht hat sondern er schon vorbereitet war.

bear-3214226_640„Das klingt so, als ob sich der Mann mit seiner Krankheit abgefunden hätte. Ist das wirklich gut so? Soll man nicht dagegen ankämpfen, so gut es geht?“

Ja, ich finde, man soll kämpfen, so gut es geht. Aber wenn nichts mehr geht, dann ist es auch gut, sich in sein Schicksal einzufinden. Und die Tatsache, dass er sich Bücher ans Bett gelegt hat, heißt ja nicht, dass er nicht mehr gekämpft hat sondern dass er gut für sich gesorgt hat, falls es wiederkommt. Und bei ihm war es eine körperliche Erkrankung, die chronisch war: es war klar, dass sie wiederkommen würde.

Jean P überlegt, was das für ihn konkret bedeuten könnte, aber im Moment ist er so guter Laune, dass ihm schon alleine die Idee, sich auf eine weitere Depression einzustellen oder vorzubereiten, zu weit weg erscheint, und deshalb lassen wir diesen Plan und freuen uns, dass es ihm so gut geht.

Frank S: He also wants it his way!

16. April 2018

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Franks Vater ist schon über 80, fährt aber immer noch gerne selbst mit dem Auto. Er fährt sehr langsam, sagt er, und alle in seinem Ort kennen ihn und weichen großräumig aus, wenn sie sein Auto sehen. Frank macht sich Sorgen.

„Was ist, wenn einmal jemand sein Auto nicht kennt. Oder ein Kind auf der Strasse ist. Das kann leicht böse enden.“

Haben Sie ihren Vater darauf angesprochen?

auto-3236436_640„Ich habe es mehrmals versucht, und er sagt, er fährt jetzt ja keine weiten Strecken mehr, immer nur bis zum Geschäft und zurück, und nie mehr in eine Gegend, die er nicht kennt. Und er sagt, wenn es eines Tages so sein sollte, dass er nicht mehr fahren kann, dann wird er selbstverständlich damit aufhören. Ich finde, der Tag ist schon längst gekommen, er will es nur nicht wahrhaben. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“

Und wenn Sie ihm klar sagen, dass Sie es nicht mehr für verantwortlich halten, jetzt schon und nicht erst eines Tages?

„Damit würde ich ihn ja wohl doch sehr verletzen. Und ich habe von ihm auch gelernt, dass Selbstverantwortung ein hohes Gut ist. Er hat mir in meiner Kindheit viel Freiheit gelassen, Fehler zu machen, das rechne ich ihm hoch an. Das war nicht der Standard  zu der Zeit damals.“

hand-2906456_640Ja, ich verstehe, das ist ein schwieriger Balanceakt. Die Frage wird wohl sein, ob Sie mit sich selbst klar kommen, wenn er einen Unfall verursacht. Schließlich muss man das beim eigenen Kind auch so machen. Wie wäre es für Sie, wenn das geschehen würde? Könnten Sie damit gut umgehen? Sie sich auch für sich verantwortlich, und leben müssen Sie dann damit, wenn Sie nichts gesagt haben. Oder es wenigstens versucht haben.

Frank ist nachdenklich und beschließt schließlich, mit seinem Vater sehr deutlich zu sprechen und ihn zu bitten, das Autofahren ganz sein zu lassen. Er bietet an, einmal in der Woche zu den Eltern zu kommen und mit ihnen die notwendigen Wege zu erledigen. Das Thema Selbstverantwortung beschäftigt uns dann noch den Rest der Sitzung, weil der Grat zwischen Selbst- und Fremdverantwortung ziemlich schmal ist.