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Jean-Paul S.: Zeit zum Reifen

5. Februar 2018

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Jean-Paul war, wie Sie sich vielleicht erinnern, für eine Zeit im Krankenhaus. Da er zum Zeitpunkt der Aufnahme in einem sehr schlechten Zustand war, blieb er etwas mehr als drei Wochen im Spital.

Wenn Sie heute – ca 1,5 Monate später  – darauf zurück schauen:  wie denken Sie darüber?

„Ich bin froh, dass ich dort war. Es ist mir zwar nicht leicht gefallen, mir einzugestehen, dass ich auf die Psychiatrie muss, aber eine kleine Stimme in mir hat das sehr richtig gefunden, und so hatte ich den Mut, es mir zu erlauben. Ich habe dort viel über mich nachgedacht, und das war richtig gut.“

black-and-white-1278713_640Worüber haben Sie nachgedacht?

„Über den Sinn meines Lebens. Über das, was mir wichtig ist. Warum ich mich jeden Tag so abmühen soll. Mir ist klar geworden, dass ich eines Tages wirklich sterben werde, und dass ich nicht auf mein Leben zurückschauen und es für sinnlos und leer halten will. Ich habe mir überlegt, dass mein Problem nicht ist, dass ich überhaupt NICHT leben will – ich will nur nicht SO leben wie bisher, so bedeutungslos.“

Ist es das, was Sie mit „erbärmlich“ gemeint haben, bevor Sie ins Krankenhaus gegangen sind? 

„Ja, so ist es. Ich will meinem Leben einen Sinn geben. Ich will nicht einfach nur so dahinleben: arbeiten, essen, schlafen. Ich will stolz sein auf mich. Ich will auf mein Leben schauen und sagen können: das ist gut, es ist meines!“

Was wäre denn ein erster Schritt in diese Richtung?

man-3085686_640„Ich will aufhören, mit Simone eine leere Beziehung zu führen. Wir haben begonnen, viele Gespräche zu führen, wie wir das verändern können. Ich bin noch nicht sicher, ob es uns gelingen wird, aber wenn alle Stricke reißen, werden wir uns trennen. Wir machen einander zur Zeit gegenseitig unglücklich, das kann nicht so bleiben. Wir sind auf der Suche.“

Ich gratuliere Jean-Paul zu seinem Entschluss, sein Leben in die Hand zu nehmen, und wir reden eine ganze Weile darüber, wie er das tun kann. Wichtig scheint mir die Erkenntnis zu sein, dass es in seiner Hand liegt, dem Leben einen Sinn zu geben. Aber ich bremse ihn auch etwas in seinem Enthusiasmus: er soll sich nicht zu viel auf ein Mal vornehmen, um sich nicht zu erschöpfen.

 

Jean-Paul S: Es ist genug

20. November 2017

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Jean -Paul ist es ja schon länger schlecht gegangen, und das hat sich nicht geändert. Die Kälte, die Dunkelheit und die Aussicht auf die Weihnachtszeit – all das macht seine Depression eher schlechter.

„Ich war bei der Ärztin, und sie hat gemeint, ich soll mehr Tabletten schlucken. Ich mag das nicht. Ich nehme die, die ich bis jetzt nehmen sollte, schon so ungern. Aber noch mehr – ich bin eigentlich gegen Tabletten. Sollte ich das nicht alleine schaffen?“

Ich verstehe es als eine Erweiterung Ihrer Aussage, dass, „wenn Sie sich ein bisschen zusammennehmen würden“, das alles nicht notwendig wäre. Ist das so gemeint?

face-1013519_1280„Ja, ich finde mein Gejammer erbärmlich. Alles finde ich erbärmlich. Auch die Menschen um mich herum: erbärmlich. Aber am meisten erbärmlich finde ich mich selbst.“

Wenn Sie „erbärmlich“ sind – haben Sie dann auch Erbarmen mit sich? Wie es das Wort ja im Grunde genommen fordert?

„Ha, Erbarmen mit mir! Nein, sicher nicht. Ich mag einfach nicht mehr. Mich nicht mehr mit mir so plagen. Mich so erbärmlich fühlen. Mir ist es zu viel. Alles ist zuviel. Es ist genug, ich mag nicht mehr.“

Muss ich mir um Sie Sorgen machen, Jean-Paul?

Er schweigt, was mir gar nicht gefällt.

Wenn es so schlimm ist – wie wäre es, wenn Sie für eine Zeit ins Krankenhaus gehen würden? Wie schon im Vorjahr scheint diese Jahreszeit für Sie sehr belastend zu sein – da könnte Ihnen vielleicht eine Auszeit gut tun, wie voriges Jahr. Was halten Sie davon?

Er hat den Kopf gesenkt und schweigt weiter. Dann nickt er.

„Ja, das wäre wahrscheinlich gut. Ich finde es zwar auch erbärmlich, wenn ich ab jetzt jeden Herbst im Krankenhaus sein muss, aber es hat mich damals schon aufgeheitert. Es war einfach einmal eine Zeit, in der ich viel geschlafen habe, mit anderen Betroffenen gesprochen und die Therapien waren auch ganz gut. Nicht alle, aber einige.“

Gut, werden Sie bitte mit Ihrer Ärztin reden, dass sie Sie überweist?

little-boy-1635065_1280Wir vereinbaren, dass er sich noch heute an seine Ärztin wendet und mir Bescheid gibt, wenn er im Krankenhaus angekommen ist, damit ich mir keine Sorgen machen muss. Ich bin froh, dass er sich diese Zeit gönnt, es ist ihm wirklich nicht gut gegangen, und niemand muss immer alles alleine schaffen.